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Einschätzungen von Daniel Kreutz, Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses des SoVD NRWWohnkostenlücken beim Bürgergeld – (k)ein Skandal?

Mancherorts war davon schon in der Zeitung zu lesen, und auch „westpol“ (WDR-TV) griff das Thema auf, das uns in der Sozialpolitik seit mehr als einem Jahr beschäftigt: Nach dem Sozialgesetzbuch II (Bürgergeld, zuvor Hartz IV) sind die Kosten für Miete und Heizung „in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen“ zu übernehmen, „soweit diese angemessen sind“. Die Grenzen der „Angemessenheit“ bestimmt jede Kommune für sich. In vielen Fällen reichen die Leistungen der Jobcenter aber offenbar nicht, um die tatsächlichen Kosten bezahlen zu können.

Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit, die die Bundesregierungen für die Jahre 2020, 2021 und 2022 veröffentlichten, scheint das Risiko solcher Wohnkostenlücken in hohem Maße vom Wohnort abzuhängen. Sowohl die Anteile der betroffenen Haushalte als auch die Größe der Lücken weisen je nach Kommune große Unterschiede auf. In NRW lag der Betroffenenanteil der Bürgergeld-Haushalte 2022 zwischen 3,7 Prozent in Münster und 41,6 Prozent in Höxter. Und während in Wuppertal im Schnitt „nur“ 36,43 Euro monatlich zur Kostendeckung fehlten, waren es in Düsseldorf 131,16 - und bei betroffenen Singles in Steinfurt gar 134,56 Euro, was schon glatt 30 Prozent ihres Regelsatzes entsprach. Zudem gingen die Scheren im Zeitverlauf seit 2020 immer weiter auseinander. Bei den Alleinerziehenden hat sich der Abstand zwischen dem landesweit niedrigsten und höchsten Betroffenenanteil gar verdoppelt.

Die Ausführung des Bürgergelds ist eine kommunale „Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung“ unter Fachaufsicht des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Und die Daten begründen den Verdacht auf eine sehr ungleiche Rechtsanwendung im Lande. Daher bat der SoVD NRW zunächst in einem Gespräch mit Minister Karl-Josef Laumann im Dezember 2022 um Aufklärung und unterfütterte diese Bitte im Nachgang in einem Schreiben. Doch der Minister blieb auch in weiteren Schriftwechseln der Meinung, es gebe kein Problem, weil es an einer hinreichenden Zahl von Klagen und Petitionen zu diesen Fragen mangele, und weil „mögliche“ unterschiedliche Berechnungsweisen der Kommunen die Daten verzerren könnten, so dass sie nicht vergleichbar seien. Wir dagegen bekräftigten stets unsere Bitte um Aufklärung, was da tatsächlich los ist. Doch selbst unser Vorschlag, mit einem landesweit einheitlichen Verfahren zur Datenerhebung für eine zukünftig „bessere“ Datenlage zu sorgen, stieß nicht auf Gegenliebe.

Schließlich steht auch eine Frage von Verfassungsrang im Raum. Nämlich ob es dazu kommt, dass Betroffene die Wohnkosten aus ihren Regelsätzen bezuschussen müssen, weil sie lebenspraktisch keine Möglichkeit haben, der Lücke auszuweichen - z. B. durch Umzug in eine billigere, als „angemessen“ geltende Wohnung. In solchen Fällen wäre der vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bekräftigte Anspruch Bedürftiger auf das (aus Sicht nicht nur des SoVD viel zu niedrige) „soziokulturelle Existenzminimum“, wäre das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben verletzt. Deshalb darf es nicht das letzte Wort der weisungsbefugten Landesregierung bleiben, eine Aufklärung der Sachverhalte – und ggf. Maßnahmen mit dem Ziel einer einheitlichen und grundrechtskonformen Rechtsanwendung im Lande - zu verweigern.

"Wenn Sie als Bürgergeld Beziehende*r keine andere Möglichkeit sehen, als einen Teil ihrer Miet- und Heizkosten aus dem Regelsatz zu bezahlen, schicken Sie gern eine Schilderung des Sachverhalts an m.veit(at)sovd-nrw.de . Wir leiten diese dann in anonymisierter Form an Minister Laumann weiter."