Corona und wirDer Fall Schaller aus Herdecke
- Corona und wir
- Die Erfahrung von SoVD-Mann Günter Hacker
- Erfahrungsbericht Stefan Ludwig
- Erfahrungsbericht Steckel
In der Mai-Ausgabe von "Soziales im Blick" (NRW-Landesbeilage) und in unserem SoVD-NRW-Newsletter hatten wir unter dem Motto „Sie sind nicht allein mit Ihren Sorgen!“ dazu ermuntert, uns zu berichten, welche Belastungen die Krise aktuell für Sie persönlich mit sich bringt.
Gabriele Schaller, gemeinsam mit Ihrer Familie seit Jahren Mitglied im SoVD, hat sich daraufhin bei uns gemeldet und uns eine wirklich dramatische, aber leider nicht seltene Situation geschildert. Wir waren nach der Lektüre dieser „Geschichte“ sehr berührt und haben uns dazu entschieden, diese nahezu ungekürzt hier abzudrucken.
Von Gabriele Schaller
Als Mutter eines 35-jährigen Sohnes, der in einer sog. "Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung" lebt, möchte ich über die Folgen, die der Alltag für uns mit sich bringt erzählen. Den Namen der Einrichtung möchte ich zum Schutze dieser nicht erwähnen, da meine Ausführungen jede andere gleichwertige Einrichtung betreffen würde und die Betreuer und Leitungen aktuell Überwältigendes leisten müssen.
Wir haben unseren Sohn Janis (Foto) nunmehr seit 6 Wochen nicht gesehen und ein Ende dieser Situation ist nicht absehbar. In den Medien wird häufig über die prekäre Situation in Altenheimen berichtet - Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung werden meines Erachtens einfach übersehen, vergessen. Mir ist bewusst, dass Menschen mit geistiger Behinderung besonders schutzbedürftig sind, da häufig Mehrfachmorbidität besteht, aber ebenso besonders anfällig für seelische Belastungen sind, da sie die ganzen Verbote/Auflagen rational überhaupt nicht verstehen können. Und daran drohen behinderte Menschen und ihre Angehörigen zu "zerbrechen"!!!
Wir haben unseren Sohn bislang jedes zweite Wochenende von freitags bis sonntags nach Hause geholt und an dem Wochenende dazwischen besuchen wir ihn. Er fährt auch einmal jährlich mit uns Eltern sowie jährlich mit der Lebenshilfe in den Urlaub. Wer setzt sich denn dafür ein, dass wir unter hohen Schutzmaßnahmen unseren Sohn (ich denke ich spreche hier vielen anderen Betroffenen aus der Seele) besuchen können?
Ein weiteres Beispiel aus unserem "Neuen Alltag": Wir mussten uns auch noch mit dem Sozialamt der Stadt Herdecke auseinandersetzen. Unser Sohn darf aktuell in einer sogenannten "Notgruppe" weiterarbeiten und nimmt dadurch auch weiter an der Mittagsverpflegung teil. Ende März erhielten wir vom Sozialamt eine neue Aufstellung der Leistungen aus der Grundsicherung, in der der Mehrbedarf für solche Werkstattessen aber mit sofortiger Wirkung gestrichen wurde. Auf der Gehaltsabrechnung der Einrichtung wurde die Mittagsverpflegung aber wie immer abgezogen, da unser Sohn ja weiterarbeitet. Wir mussten gegen die Streichung des Mehrbedarfs vorgehen, d.h. Widerspruch gegen den Bescheid der Stadt einlegen und bekamen auch Recht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte den Stadtverwaltungen ja auch empfohlen, die Streichung des „Mehrbedarfs Mittagsverpflegung“ bei vorübergehenden Werkstattschließungen frühestens zum 1.Mai (!) zu streichen - zur Sicherstellung des Existenzminimums und mit Rücksicht auf bereits laufende Daueraufträge bei den Trägern!
Das Ganze hat uns aber in der aktuellen seelischen Verzweiflung über die Auswirkungen auf unser Leben mit Corona extrem viel Kraft gekostet und ich finde die Vorgehensweise von der Stadt Herdecke absolut unmenschlich, zumal die Bürgermeisterin nicht müde wird über die prekäre Situation der Geschäftsleute zu klagen....
Wir haben sehr viel Angst, dass unser Sohn erkranken könnte und wir ihn dann noch nicht einmal besuchen dürften. Gegen diese Sorgen zu kämpfen kostet sehr viel Kraft.
(Anmerkung der Redaktion: Der SoVD NRW wird sich mit Blick auf das Thema Besuchsrecht beim NRW-Arbeits- und Sozialministerium entsprechend einsetzen und auf eine Verbesserung der Lage der Betroffenen drängen! Die Belange von Menschen mit Behinderungen dürfen auch in diesen Zeiten nicht vergessen werden. Frau Schaller hat den Namen der Einrichtung nicht genannt, weil die Betreuerinnen und Betreuer von Menschen mit Behinderung Enormes leisten. So wie etwa Heilerziehungspflegerin Jessica Soyka-Kloeters von der Lebenshilfe Heinsberg, über die Spiegel Online aktuell berichtet. Ebenfalls sehr lesenswert!